Kapitel 4: Die Aspekte

Aspekte (die Deutung von Winkelstellungen der Planeten) tauchen in der astrologischen Tradition erstmals bei PTOLOMAEUS auf, dessen Astrologie-Lehrbuch (das einzige erhaltene systematische Astrologie-Lehrbuch der Antike): Tetrabiblos, auf den Lehren des syrischen Astrologen Posidonius von Appamaeia (135 - 51 v. Chr.) beruht. Ptolomaeus spricht von Aspekten in einer allgemeineren Form als wir es heute tun:

Unabhängig vom tatsächlichen Winkel zwischen zwei Planeten rechnet er mit dem Abstand der jeweiligen Zeichen. Er spricht also nicht von der Verbindung zweier Planeten sondern von der Verbindung zweier Abschnitte der Ekliptik. Die Konjunktion galt daher auch nicht als Aspekt. So waren also alle Planeten, die im gleichen Element standen (etwa in den Wasserzeichen) im Trigon zueinander: Planeten im gleichen Element haben ein ähnliche Färbung, sind also in Harmonie miteinander.

Erst Johannes Kepler führte im Mittelalter die Aspekte in der Form ein, wie wir sie heute in der Astrologie benutzen: als Winkel zwischen Himmelskörpern. Er war der Auffassung, daß die Wirkung der Aspekte auf einer angeborenen Sensibilität der menschlichen Seele für geometrische Proportionen beruhe, die er instinctus geometricus nannte. Die Seele reagiere auf die Winkelstellungen wie auf die Konsonanzen und Dissonanzen in der Musik.

Die aus der Teilung des Kreises durch zwei, vier und acht resultierenden Aspekte (180o, 90o, 45o und der Komplementärwinkel zu 45o, also 135o) nennen wir die analytischen, die aus der Teilung des Kreises durch 3 und 6 resultierenden Aspekte (120o und 60o) die synthetischen. Die Konjunktion, also das Zusammenstehen zweier Planeten (0o) nimmt eine Sonderstellung ein.

Jeder Aspekt hat einen Namen, der sich in augenfälliger Weise aus den Winkeln ableitet: So heißt der 180o-Aspekt Opposition, der 90o-Aspekt Quadrat, der 45o-Aspekt Halbquadrat (der Komplementär-Aspekt, der 135o-Aspekt heißt Eineinhalbquadrat); und bei den synthetischen Aspekten heißt der 120o-Aspekt Trigon und der 60o-Aspekt Sextil. Das Zusammenstehen zweier Planeten (0o-Aspekt) nennt man Konjunktion.

In der Einleitung zu diesem Kapitel wurde schon erläutert: Stehen zwei Planeten in einem analytischen Aspekt zueinander, dann empfindet der Horoskop-Eigner die von diesen Planeten symbolisierten Impulse als schwer miteinander vereinbar. Da eine solche Ambivalenz mit inneren Spannungen einhergeht, nennt man die analytischen Aspekte oft auch "Spannungsaspekte". Stehen zwei Planeten in einem synthetischen Aspekt zueinander, dann empfindet der Horoskop-Eigner die von diesen Planeten symbolisierten Impulse als sich-ergänzend. - Im Regelfall genügt diese Unterteilung in analytische und synthetische Aspekte für die Deutung eines Horoskops vollkommen. Je weiter man jedoch in die Struktur eines Horoskops eindringt, umso mehr wird bedeutsam, daß sich die einzelnen Aspekte innerhalb einer Aspektklasse in ihrer Bedeutung noch weiter differenzieren lassen. An dieser Stelle soll auf diese feinere Unterteilung nicht eingegangen werden.

Stehen zwei Planeten beieinander (Konjunktion), dann bedeutet das: Wann immer die eine der beiden Funktionen angesprochen ist, wird auch der andere Impuls geweckt. Bilden beispielsweise Saturn und Mars eine Konjunktion miteinander, dann heißt das: Wann immer selbstbehauptende Impulse geweckt werden, werden gleichzeitig auch Tendenzen der Sicherung aktiviert; ebenso: wann immer Sicherungstendenzen aktiviert werden, wird auch der Selbstbehauptungswille geweckt. Diese Konjunktion wird also dazu führen, daß Aggressionen immer auf eine beherrschte, kontrollierte Weise geäußert werden, daß auch in der Wut "der Kopf kalt bleibt". Umgekehrt wird immer dann, wenn Schmerz oder Angst ihn alarmieren, auch der Selbstbehauptungswille wach, der ihn animiert, durchzuhalten und nicht aus Angst oder zur Vermeidung weiteren Schmerzes aufzugeben. Eines ist aber sicher: Für spontane risikoreiche Unternehmungen ist jemand mit diesem Aspekt nicht so leicht zu haben.

Die Konjunktion ist also ein neutrales Bindeglied zwischen zwei Planeten. Beide Kräfte "wecken" sich wechselseitig, nicht mehr.

Ich will nun an einem Beispiel demonstrieren, wie man sich die Wirkung der beiden anderen Aspektformen vorzustellen hat. Ich wähle einen analytischen Aspekt. Ein Beispiel für einen synthetischen Aspekt wird, in einem etwas anderen Zusammenhang zwar, im folgenden Kapitel gegeben werden.

Venus (Opposition, Quadrat oder Halbquadrat) Saturn

Der Mensch mit diesem Aspekt spricht besonders auf Situationen an, in denen das Bedürfnis nach Harmonie, Wohlbefinden und lustvollem Erleben unvereinbar ist (oder scheint) mit dem Bedürfnis nach Sicherheit, Stabilität und Struktur. Er tendiert ggf. sogar dazu, Situationen so zu konstellieren, daß diese beiden Antriebe unvereinbar werden.

Die Ebene der Konkretisierung dieses Aspekts hängt sehr von der Tierkreiszeichen- und Felderstellung der beteiligten Planeten ab. Um den Vorgang der Deutung anschaulicher darstellen zu können, soll zumindest die Stellung in den Tierkreiszeichen berücksichtigt werden: Die Venus sei im Stier und der Saturn sei im Löwen. Da jeder Planet zudem eine Fülle von Facetten umfaßt, soll hier die Deutung auf die Ebene der Liebesbeziehungen beschränkt werden:

Die Stier-Venus symbolisiert das Bedürfnis nach Sinnenlust. Der Mensch wünscht sich eine/n schöne Partner/in, mit einem sinnlich ansprechenden Körper, einer schönen Haut, schönen Formen. Direkter Körperkontakt ist wichtig, die Wärme des anderen spüren wird als sehr genußvoll erlebt. Er ist ein sehr verschmuster Mensch.

Der Löwe-Saturn symbolisiert die Tendenz, Sicherheit durch Kultivierung von Löwe-Qualitäten zu suchen. Daraus folgt ein intensives Bedürfnis nach Autonomie. Infragestellungen der eigenen Würde, auf die jemand mit der Sonne im Löwen zwar aufbrausend aber selbstbewußt reagieren würde, verunsichern diesen Menschen stark: mit Saturn im LÖwen ist die Würde seiner Person etwas, das ihn (psychisch) schützt. Er ist so ein wenig der Typ Mensch, der erhobenen Hauptes aufs Schafott geht und dadurch innerlich ungebrochen bleibt, in dem, was ihm heilig ist, unverletzt.

Diese beiden Teile seiner Person empfindet dieser Mensch nun als unvereinbar.

An dieser Stelle wird eine charakteristische Erfahrung der Astrologen deutlich: Von außen betrachtet haben diese beiden Antriebe nicht unbedingt etwas miteinander zu tun. Es ist nicht ersichtlich, was daran unvereinbar sein sollte. Doch der Horoskop-Eigner trägt eine "Brille", die diese beiden Facetten seiner Person als unvereinbar erscheinen läßt. Und durch entsprechende Wahl von Menschen und Situationen bewahrheitet sich seine Sicht der Dinge auch.

So wird er vielleicht dazu tendieren, Menschen zu begehren, die für ihn schwer erreichbar sind. Es können 99 Menschen um ihn herum sein, die ihn lieben und seine Liebe begehren. Er hat das Geschick, die einzige Person, die sich für ihn nicht so interessiert, als die attraktivste zu empfinden. Und dann hat er seinen Konflikt: Da diese Person ihn nicht so begehrt wie er sie begehrt, muß er intensiv werben und ist immer in Gefahr, dabei "abzublitzen". Gelingt es ihm, das Objekt seiner Begierde zu "verführen", dann stellt sich heraus, daß dieser Mensch körperliche Nähe nicht als ein zentrales Bedürfnis empfindet. Die Zurückweisung in seinen Bedürfnissen nach Körpernähe und Schmusen bedeutet für ihn eine tiefe Kränkung. Und dann kann ein Teufelskreis beginnen: Sein Hunger, doch wenigstens etwas von dem begehrten Körper spüren zu dürfen, macht ihn "korrupt", d. h. für etwas Nähe verrät er seinen Stolz oder andere zentrale Werte. Dadurch verliert er für den Partner/die Partnerin aber nur an Reiz.

Angesicht der anderen Menschen (potentiellen Partner), die ihn lieben und begehren, die er selbst aber nicht begehren kann, "weil sie einfach nicht so verführerische Körper haben", empfindet er nun den Konflikt ganz deutlich: Entweder er erfüllt sein saturnisches Bedürfnis nach Sicherheit durch Autonomie und "innere Unverletzlichkeit", dann muß er auf die Erfüllung seiner Begierde verzichten und eine Partnerin/einen Partner wählen, der/die ihn begehrt (und deshalb nicht kränken wird), die für ihn aber körperlich weniger attraktiv sind. Wenn er das nicht will (oder nicht kann, weil die anderen Körper ihn einfach kalt lassen), dann gerät er immer wieder an Menschen, von denen er sich in seiner Bedürftigkeit abhängig fühlt, und denen er sich unterwirft für ein wenig Erfüllung seiner Sehnsüchte.

Dieser Konflikt ist nicht "objektiv": Er entsteht dadurch, daß der betreffende Mensch eine unbewußt passende "Wahl" trifft und die Person am attraktivsten findet, die diesen Konflikt konstellieren hilft.

Der beschriebene Fall ist eine mögliche Konkretisierung dieses Konflikts. Er soll an einem Beispiel ein Prinzip veranschaulichen. Keineswegs ist es zwingend, daß jedes Venus-Saturn-Quadrat mit Venus im Stier und Saturn im Löwen sich genau so manifestieren muß. Der Aspekt sagt nur, daß eine Tendenz besteht, die aus dem Saturn im Löwen resultierenden Impulse als unvereinbar zu erleben mit den aus der Venus im Stier resultierenden Impulsen, und im eigenen Leben "magisch" Situationen anzuziehen, in denen diese Unvereinbarkeit konkret werden kann.




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